Repräsentative Bauten contra Lage der Bevölkerung
Eine Stadt besteht aus mehr denn aus Rathaus und Schulneubauten. Ihr Gesicht wird mindestens ebenso stark durch eine Reihe anderer öffentlicher Bauten geprägt, gleich, ob sie nun repräsentativen Charakter haben oder nur praktischen Nutzwert ohne verlockende äußere Hülse. 1897 zählte Remscheid 4.782 Wohnhäuser mit 49.990 Einwohnern, 1907 waren es 5.427 Häuser und 66.900 Bewohner und 1912 schon fast 6.000 Häuser mit fast 75.000 Menschen. Die Relation zeigt, dass die Zahl der Einwohner pro Haus wuchs. 1887 gab es 26 öffentliche Gebäude. Neun Jahre später1906, war diese Zahl auf 35 angestiegen. Hinzugekommen waren in dieser Zeit außer Schulen der Städtische Schlachthof, die Badeanstalt und ein Verwaltungsgebäude. 1911 erhielt Remscheid ein neues Bahnhofsgebäude, so dass nun »endlich«, wie ein Chronist vermerkt, »für eine 74.000-Einwohner-Stadt würdige Bahnhofszustände geschaffen wurden«. Auch wenn es keine architektonische Meisterleistung war, sagen Remscheider, die vergleichen können, so schön wie der alte Bahnhof sei die Nachkriegslösung nicht geworden.
Eine große Tat des ersten Jahrzehnts im 20. Jahrhundert war auch Planung und Bau eines neuen Krankenhauses. Schon 1901 war die Halbach-Stiftung, ein Evangelisches Krankenhaus an der Einmündung der Freiheitstraße in die Alleestraße, eingeengt durch die dichte Bebauung, neben zahlreichen anderen Übelständen als zu klein erkannt worden. Ein Umbau kam nicht in Betracht. Die lange Suche nach einem neuen Standort führte zu einem Grundstück an der »Dicken Eiche« zwischen Bliedinghausen und Ehringhausen. Die Frau des Kommerzienrates Hasenclever schenkte der Stadt das Land, das durch Hinzukauf weiterer Grundstücke zu einem Areal von 32 Morgen arrondiert werden konnte. Alle Krankenräume orientierten sich beim Neubau nach Süden, die Anlage wurde im Pavillonsystem errichtet.
Es wurde in Remscheid aber nicht nur für die unabdingbaren Notwendigkeiten eines Gemeinwesens gesorgt: Bahnhof, Feuerwehr, Schlachthof, Krankenhaus, Schulen, Rathaus. Man verwendete auch einige Gedanken auf das Erholungs- und Zerstreuungsbedürfnis der Bevölkerung. Denn wer eng aufeinandersitzt, braucht Auslauf. Das empfanden die alten Remscheider schon ganz deutlich. Und sie reagierten auf den sich heftig steigernden Wohnungsbau und die Vermehrung der größeren Fabriken mit dem Wunsch nach Stätten der Erholung. Ein in Remscheid bestehender Verschönerungsverein hatte 1885 das Holscheidsberger Hügelgelände erworben und es in Park- und Gartenanlagen verwandelt. Diese Anlagen gingen in den Besitz der Stadt über und wurden zum Stadtpark. Hier, so fanden die Remscheider, sei der geeignete Standort für eine Halle, in der man Veranstaltungen aller Art abhalten könne. So kam es zum Wettbewerb und 1901 bis 1902 nach den Ausführungsplänen des Stadtbauamtes zum Bau der Stadtparkhalle. In deren Grundsteinurkunde wird der Wunsch geäußert, dass hier eine Stätte der Erholung für »junge und alte, arme und reiche Mitbürger entstehen möge«. Man darf sagen, dass sich der Wunsch erfüllte.
Bei den älteren Remscheidern ist die Stadtparkhalle in guter, manchmal sentimentaler Erinnerung. Das Bauwerk sollte auch Zeugnis ablegen für die fortschreitende erfreuliche Entwicklung des Gemeinwesens Remscheid, und wenn man sich nach den technischen Großtaten der Jahre 1880 bis 1900 die Bautätigkeit bis zum Ersten Weltkrieg vor Augen führt, gelang das, obwohl die Lage der Bevölkerung dem repräsentativ vorgeführten Wohlergehen nicht immer entsprach. (aus: „Remscheid so wie es war“, von Dr. Gerd Courts, erschienen 1974 im Droste Verlag.)
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