Ratsmitglieder haben ein Recht auf freie Meinungsäußerung
„Fraktionszwang lehnen wir ab! Nur so kann der von vielen Bürgerinnen und Bürgern beklagte ‚Gütersloher Klüngel’ und der Parteienfilz in Politik und Verwaltung beseitigt werden.“ Ein Zitat der UWG Gütersloh. Statt „Gütersloh“ könnte da auch „Köln“ stehen. Oder auch „Remscheid“? Wieland Gühne, Fraktionsvorsitzender der W.I.R. im Rat der Stadt Remscheid, hat sich soweit bislang noch nicht aus dem Fenster gelehnt (was er sonst ja ganz gerne tut). Im Vorfeld der letzten Kommunalwahl war von ihm lediglich das zu hören, was sich quer durch die Bundesrepublik viele Freie Wählergemeinschaften auf ihre Fahnen, besser gesagt, in ihre Wahlprogramme geschrieben haben: „Wir haben keinen Fraktionszwang!“
Ich stelle mir vor, dass es richtig weh tut, wenn sich ein Ratsmitglied von „seiner“ Fraktion zu einem Abstimmungsverhalten genötigt sieht, das seiner eigenen Überzeugung widerspricht. Heulen und Wehklagen? Fehlanzeige. Öffentlich wird ein solcher Widerstreit der Gefühle äußerst selten. So wie im März 2001, als in der Bezirksvertretung Lüttringhausen das Gewerbegebiet Blume behandelt worden war. Da deutete ein CDU-Mitglied später an, dem Beschluss aus Fraktionszwang zugestimmt zu haben. Und zwei SPD-Mitglieder, die sich gegen das Gewerbegebiet ausgesprochen hatten, waren damit bei der eigenen Fraktion auf Ablehnung gestoßen.
Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (die steht der SPD nahe) bin ich unter „’Pflichten’ gegenüber der Fraktion“ auf eine interessante Aussage gestoßen: „Das kommunale Ehrenamt wird als freies, nicht auftragsgebundenes Mandat ausgeübt und ist daher mit jeglichem Fraktionszwang unvereinbar. Dennoch unterliegt im Sinne der Kollegialität jedes Fraktionsmitglied einer Fraktionsdisziplin, dazu gehört, (...) eine möglicherweise abweichende Meinung zu einer mehrheitlich beschlossenen Fraktionsposition offen und rechtzeitig in der Fraktion anzusprechen.“ Über das spätere Abstimmungsverhaltern steht da nichts. Das Gespräch mit der Fraktion, sprich: die Gruppendynamik wird’s schon richten?!
Mit der Fraktion dürfte auch der „grüne“ Stephan Jasper gesprochen haben, bevor er dann in der Februar-Sitzung des Remscheider Stadtrates als einziges Ratsmitglied gegen die Resolution stimmte, in der sich der Rat der Stadt für den Erhalt von Arbeitsplätzen beim Remscheider Panzerkettenbauer Diehl einsetzte. (Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia zur Geschichte der Grünen: „Mit dem ersten Einzug einer grünen Fraktion in den Bundestag 1983 definierte sich die Partei als "Anti-Partei", um sich gegen Fraktionszwang und Berufspolitik abzugrenzen.“)
Jaspers „Fundi“-Standpunkt: „In Zeiten, da Panzer und andere Kriegsgüter weniger gefragt sind, sollen die Unternehmen ihre Produktion auf zivile Güter umstellen.“ Die Firma Diehl sei aufgefordert, nach anderen Märkten zu suchen." Damit stand er anscheinend in seiner Fraktion fünf Andersdenkenden (Realos?) gegenüber. (Zu Zeiten von Petra Kelly und Ex-General Gerd Bastian wäre das nicht passiert.)
Warum ich darauf jetzt zurückkomme? Weil es die Fraktionssprecherin der Grünen, Beatrice Schlieper, für nötig befunden hatte, das abweichende Abstimmungsverhalten ihres Parteikollegen speziell anzukündigen. Ob die Unternehmerin dabei von „Aufhebung des Fraktionszwangs“ sprach, kann ich nicht mehr sagen. Es klingt in meinen Ohren aber so ähnlich noch nach.
Der Dipl.-Soz.-Wiss. Ralf-Burkhard Hamm machte kommunalpolitische Erfahrungen in Dortmund und schrieb darüber im Internet zur Frage „Lohnt sich kommunalpolitisches Engagement?“: „Ein großes Problem in den Kommunalparlamenten ist meiner Auffassung nach die Fraktionsbildung und der Fraktionszwang. Die jeweiligen Mandatsträger entscheiden oftmals nicht nach der Sachlage und im Sinne ihrer Einwohner, sondern nach ideologischen Erfordernissen.“
Ralf-Burkhard Hamm stellt weiter fest: „Die wichtigen Entscheidungen werden nicht im Plenarsaal getroffen, sondern in Fraktionszimmern, nichtöffentlichen Ausschüssen oder in anderen internen Zirkeln. Nicht unterschätzt werden darf die Rolle der ökonomischen Akteure. Sie üben als Unternehmer oder Architekten einen starken Einfluss auf die Kommunalpolitik aus und sind oftmals selbst Mandatsträger innerhalb der Gemeinde.“
Aber damit würden wir das Feld des ideellen Interessenkonflikts verlassen und uns dem – sicher ebenso spannenden – Thema der materiellen/ökonomischen Interessenkonflikte zuwenden. Das wäre denn doch zu viel auf einmal (sollte ich mir vormerken).
Also bleiben wir beim Recht auf freie Meinungsäußerung. Ich habe im Prinzip nichts gegen verschiedene demokratische (!) Weltbilder, Ideologien, Parteiprogramme, vorausgesetzt, sie sind nicht mit dem Anspruch verbunden, die alleinige Wahrheit darzustellen. Mit Meinungen anderer können sich Menschen auseinandersetzen und so ihre eigene Meinung korrigieren oder festigen. Die einen bleiben dennoch ihr Leben lang Wechselwähler, andere finden in der einen oder anderen Partei ihre feste Heimat und werden (sogar) ihr Mitglied. Gelangen sie so in ein Stadtparlament, bedeutet das lediglich, dass sie von ihrer Partei eine Kandidatur erhalten haben. Das Mandat aber haben ihnen die Wähler/innen gegeben. Dankbarkeit sind sie weder den einen noch den anderen schuldig. Entsprechend frei sollten sie sich in ihren Entscheidungen fühlen. Nur: Wer länger als eine Wahlperiode im Stadtrat bleiben will, wird sich jeden „Alleingang“ reiflich überlegen. Vielleicht kommt er deshalb so selten vor. Auch in Remscheid.
Ich finde: Hin und wieder ein „Alleingang“ beweist Charakter. Denn „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht“ (für die jüngeren Leser: Ein Lied aus DDR-Zeiten) ist Schnee von gestern. Und stimmte nie.
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