1931 spielte im Stadttheater das „Arbeitsamtsorchester"
Kategorien: Freizeit, Geschichte, KulturGeschrieben von Chronist am | 0 Kommentare
Nicht geradlinig verlief die Geschichte des Remscheider Theaters, das als städtische Einrichtung seit 1919 existierte. Mehrmals dirigierte der Rotstift der Sparkünstler im Rathaus die Kulturarbeit wirkungsvoller als die Intentionen des Intendanten.Obwohl die Musenherrscher schon mit dem publikumsträchtigsten Genre, der Operette, lockten, blieb das Theater in einem Maße von Subventionen abhängig, dass es den verantwortlichen Stadtverordneten 1931 angezeigt erschien, das »Faß ohne Boden« ganz in die Ecke zu stellen, das heißt, das eigene Ensemble aufzulösen. Vor knapp 81 Jahren, am 27. Mai 1931, in der Zeit der größten Wirtschaftskrise, die mit lang anhaltender Arbeitslosigkeit einherging, verabschiedeten sich Sänger und Schauspieler von ihrem Remscheider Publikum mit einer bunten Szenenfolge. Der Reinertrag des Abends war für das Personal bestimmt. Der Eintrittspreis war den Zeiten angemessen und lag zwischen 50 Pfennig und drei Mark. Das damals noch existierende Warenhaus Tietz, der spätere Kaufhof, hatte den Vorverkauf inne.
Mit der Entlassung des künstlerischen Personals war das Theaterleben in Remscheid nicht gänzlich zu Ende. Intendant Müller-Multa blieb als eine Art städtischer Impresario und organisierte die fälligen Gastspiele aus Wuppertal. Die Städtischen Bühnen der ebenfalls 1929 durch Zusammenlegung von Elberfeld und Barmen sowie Eingemeindung von Ronsdorf, Cronenberg und eines Teils von Lüttringhausen entstandenen bergischen Metropole standen damals unter der Leitung des Intendanten Maurenbrecher. Die Wuppertaler kamen und brachten das gängige Opern- und Operettenrepertoire. Müller-Multa schneiderte die Inszenierungen für Remscheider Bühnenverhältnisse zurecht. Im Schauspiel, am ehesten ein Spiegel der Zeit, gab es »Die Geschwister« von Goethe, Calderons »Das Leben ein Traum«, Hebbels »Judith«, Zuckmayers »Hauptmann von Köpenick«, schließlich solche Eintagsfliegen wie »Juwelenraub in der Kärntner Straße« von Fodor und »Der Mann aus dem Kaffernlande« von Glasenapp. Im Übrigen mussten die Remscheider immer zu gutem Besuch angehalten werden, andernfalls, so hieß es, müsse das Theater ganz geschlossen werden. 1933 änderte sich das wie so vieles. Theater wurde jetzt auch Mittel zum Zweck, zur Erziehung des Volkes im neuen Geist. Unwillkommene Autoren, jüdische zumal, durften nicht mehr gespielt werden, wohl aber Werke aus der Feder der Angepassten.
Inzwischen leben die Remscheider von der Substanz. Die Einzahlungen bei der Sparkasse überschreiten die Auszahlungen kaum noch. Viele sind gezwungen, ihre Notgroschen anzugreifen. Fürs Vergnügen bleibt wenig. Immerhin die Kinos, seit kurzem mit der Attraktion des Tonfilms. Sie locken mit »Pat und Patachon auf dem Pulverfass«, einer Klamotte der beiden Skandinavier Karl Schenkström und Harald Madsen. Harry Liedtke bezaubert die Frauen im »Donauwalzer«, Conrad Veidt begeistert die Männer in »Die letzte Companie«, und das alles spielt sich im »Lichtspielpalast Stachelhauser Straße«, im »Tempo 1« und »Tempo 2« sowie im »Modernen Theater« ab.
Das Musikleben in Remscheid wurde durch zwei wesentliche Faktoren bestimmt: durch die intensive Pflege des Männergesangs in zahlreichen Chören, die zum Teil schon seit dem 19. Jahrhundert existierten, und durch das Städtische Orchester, das im Jahre 1925 durch Oberbürgermeister Dr. Walther Hartmann gegründet worden war. Ein Jahr später wurde ein Städtisches Musikamt eingerichtet, das 1927 aus der Hand Karl Selves an Dr. Felix Oberborbeck überging. Er führte das Orchester auf beachtliche Höhe, doch mit den künstlerischen Erfolgen konnten die wirtschaftlichen nicht Schritt halten. Die miserable Haushaltslage der Stadt führte 1931 nicht nur zur Auflösung des Theaterensembles, sondern auch des Orchesters. Wenn es trotzdem gelang, die vorgesehenen Konzerte durchzuführen, dann nur deshalb, weil die Musiker unter teilweise erheblichen Opfern zusammenblieben und als »ehemaliges Städtisches Orchester» weiterwirkten. Hin und wieder half eine Behörde: das Arbeitsamt. Die arbeitslosen Musiker mussten es sich zwar gefallen lassen, als »Arbeitsamtsorchester« bezeichnet zu werden, konnten dafür aber alle Abonnementskonzerte, Kammermusikabende und Jugendkonzerte spielen. 32 Musiker und die pro Konzert mehr als 700 Remscheider machten es möglich. Diese Hilfskonstruktion dauerte analog zur Theatersituation bis 1933. Oberborbeck, der Mann, der Remscheids Musikleben seit 1925 maßgeblich bestimmt hatte, verließ die Stadt 1934. Es dauerte eine Zeit, ehe die Lücke, die sein Weggang hinterließ, geschlossen werden konnte. - Kaspar Wittkop (1862-1936), (im Foto oben links) ursprünglich Sägenschmied, war Dichter volkstümlicher Lieder und Vertoner seiner Schöpfungen mit den ‚Sängern van der Beek (Foto)’. Wittkop war ein Original. Er dirigierte die Darbietungen seines Gesangvereins mit einer Gerte, die er sich aus einer Stechpalme schnitt, der sogenannten »Hölsenschmicke«
Remscheids Kirmes ist ein so tief im Volksempfinden eingewurzeltes Vergnügen, dass daran trotz aller Not nicht gerüttelt wird. 1931 waren an Neuigkeiten die Motorradfahrer an der Todeswand, Nervenkitzel für 20 Pfennig, und die Revue der Geschwister Ackermann zu verzeichnen. Ein ehemaliger Hippodrombesitzer ließ seine vier Töchter, die bis vor kurzem noch Sterne des Essener Opernballetts gewesen waren, auf der Kirmes auftreten. Sagte Vater Ackermann. Zeichen der Zeit oder geschickter Werbegag? Das Hippodrom, nun unter neuer Leitung, fehlte nicht. Schreibt die Lokalzeitung: »Die Liliput-Pferdchen sind immer noch so klein wie früher, und der Vollbart des Besitzers hat sich auch nur in der Farbe geändert.« Doch Kino und Kirmes bringen nur kurzfristige Ablenkung, die Not will nicht weichen. In Remscheid bastelt man an einer Winternothilfe. Der Remscheider General-Anzeiger macht praktische Vorschläge, Gutscheine für Mittagessen an die Bedürftigen auszugeben, Wettbewerbe für Arbeitslose mit Preisverteilung, Lebensmittelpakete für Alleinstehende, Milch und Kakao für Schulkinder. Trotz allem wird der Winter 1931/32 schlimm. (aus: „Remscheid so wie es war 2“, von Dr. Gerd Courts, erschienen im Droste Verlag, Düsseldorf, im Jahre 1978.)
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