Armut in Remscheid (6): Wenn es "die Tafel" nicht gäbe...
Schulkinder ohne Mittagessen, Erwachsene, die an der „Remscheider Tafel“, Kronprinzenstraße 34, für ein warmes, kostenloses Essen Schlange stehen – es gibt mehr Elend in dieser Stadt, als man bei oberflächlichem Hinsehen erkennen kann.
Der Verein Remscheider Tafel für Bedürftige e.V. (Tel. 790193, Konto 2246 bei der Stadtsparkasse Remscheid,(Bankleitzahl 340050000, Jahresbeitrag ab 20 Euro) gründete sich 1997 auf Initiative des damaligen Präsident des Lions-Club Remscheid, Jürgen Urbinger. Von vornherein mit dabei waren als Institutionen der Caritasverband Remscheid, der Betreuungsverein ausländischer Flüchtlinge, das Diakonisches Werk, das Deutsche Rote Kreuz, und die Stadtverwaltung Remscheid. Wäre der Verein nur auf Mitgliedsbeiträge angewiesen, es gäbe ihn wahrscheinlich längst nicht mehr. Vereinsvorsitzender Joachim Jüttner:“ Zum Glück kommt so manche Spende von Firmen hinzu, etwa bei Betriebsjubiläen, oder von Privatleuten, die bei runden Geburtstagen auf Geschenke verzichten und sich statt dessen von ihren Gästen eine Spende für die Tafel wünschen. Oder eine Schule veranstaltet zu Gunsten der Tafel einen Sponsorenlauf.“
Die ersten Lebensmittel wurden am 1. April 1997 ausgegeben. Seitdem haben die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins - die „Remscheider Tafel“ hat immer Bedarf an ehrenamtlichen Mitarbeitern: „Wir freuen uns über jede helfende Hand beim Sortieren und Verteilen der Lebensmittel; aktuelle suchen wir Leute mit Führerschein!“ – mit zwei Kleintransportern unzählige Tonnen Lebensmittel eingesammelt und an arme Mitbürger verteilt. "Es gibt offizielle Schätzungen, dass ca. 20 Prozent aller in Deutschland produzierten Lebensmittel im Abfall landen - eine beschämende Zahl in unserer Wegwerf- und Überflussgesellschaft. Unser Grundsatz ist es, qualitativ einwandfreie Nahrungsmittel, die im Wirtschaftsprozess überschüssig sind, bei Supermärkten, Firmenkantinen, Bäckereien, Fleischereien u.a. einzusammeln, zu sortieren, und täglich an die Bedürftigen unserer Stadt auszugeben“.
Rund zehn bis „Gäste“ pro Tag hatten die Gründerväter der „Tafel“ erwartet, doch schon bald waren es dreißig. Heute kommen zur Essensausgabe (montags bis freitags zwischen 14 und 15 Uhr) meist 45 bis 50. Der erste Gang zur „Tafel“ ist vielen davon schwer gefallen, hat die Überwindung einer Hemmschwelle bedeutet. Denn dieser Gang war das öffentliche Eingeständnis: „Ich habe nicht genug Geld für Lebensmittel“.
In Lennep und Lüttringhausen, an einigen Tagen in der Woche „kalte Küche“ ausgegeben wird, sind es pro Woche insgesamt etwa 240 bedürftige Mitbürger, darunter auch Hausfrauen und allein erziehende Mütter, weiß Joachim Jüttner zu berichten, der dem Verein seit drei Jahren vorsteht. Und an zehn Kindergärten in der Stadt wird regelmäßig Obst und Gemüse verteilt. Alles in allem also 450 Mitmenschen, die froh sind, dass es die „Tafel“ gibt.
Viele davon sind Arbeitslose. Für den Monat Februar nennt die Statistik des Arbeitsamtes für Remscheid 7731 Männer und Frauen ohne Arbeit, das sind 579 mehr als im Dezember. Macht eine Arbeitslosenquote von 12,9. Unter diesen 7731 Arbeitslosen kommen auf einen Deutschen knapp drei Ausländer. Mehr als elf Prozent dieser Arbeitslosen sind jünger als 25, mehr als 42 Prozent schon länger als ein Jahr ohne Stelle.
In den von Arbeitslosigkeit betroffenen Familien "herrscht vielfach ein Klima der Mut- und Perspektivlosigkeit, das sehr schnell auch das Lebensgefühl der Heranwachsenden prägt. Sie fühlen sich oftmals bestraft durch weitgehende Einschränkungen, deren Ursachen und Folgen sie ohnmächtig gegenüberstehen. Diese Kinder werden aufgrund ihrer belastenden Lebenssituation häufiger krank als andere, weisen vielfach Verhaltensstörungen auf und geraten leicht in eine Außenseiterposition", heißt es im "Armutsbericht" der Stadt Remscheid.
11000 Menschen in Remscheid beziehen zur Zeit Arbeitslosengeld II. 43,2 Prozent davon sind nicht älter als 19, zum Teil erhalten Sie selbst schon Arbeitslosengeld II, zum Teil wurden sie als Kinder von Betroffenen in die Statistik der „Arge“ aufgenommen. Die wachsende Zahl von Betroffenen reißt in diesem Jahr ein weiteres Loch in den Stadtsäckel. Mussten im vergangenen Jahr noch 22 Millionen Euro für Arbeitslosengeld II ausgegeben werden, sind es in diesem Jahr voraussichtlich 24 Millionen. Wie die Stadtverwaltung gleichwohl zehn Millionen Euro einsparen soll – so die Forderung des Rates der Stadt – weiß im Rathaus niemand zu sagen.
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