Von Dr. Wilhelm R. Schmidt
Als ich vergangenen Sonntag wieder einmal zur Erstausgabe von Otto Schells Bergischen Sagen griff, fiel gleich vorne, das Buch stammt von 1897 und ist schon etwas zerfleddert, ein Lichtdruck mit dem Titel „Schloss Burg als Ruine“ heraus, es beruht auf einem Foto von Ferdinand Brandt aus Elberfeld. Man kann sich ja streiten, ob das Wahrzeichen des Bergischen Landes eher der Altenberger Dom oder eher das Schloss Burg ist, eigentlich ist es doch aber schön, dass da gleich mehrere Wahrzeichen vorhanden sind, und für das Bergische Städtedreieck hat natürlich Schloss Burg eine nähere und besondere Bedeutung. Damals, als meine Familie noch kein Auto hatte, fuhren wir mit der Straßenbahn durchs Eschbachtal nach Burg, und ich dachte lange Zeit, dass Burg ein Ortsteil von Remscheid ist, die Zugehörigkeit ist ja in der Gegend auch heute sehr verwickelt oder verwinkelt, und wenn ich wieder mal dort war, dann wundere ich mich später, wenn das Knöllchen nicht aus Remscheid, sondern aus Solingen oder Wuppertal kommt. Als Schüler des Lenneper Röntgen-Gymnasiums, an die Abkürzung RöGy habe ich mich immer noch nicht gewöhnt, hatten wir über die Tanzschule Koch-Liedke, die es wohl heute noch gibt, den Abschlussball in Schloss Burg, und es gibt noch schöne Bilder von dort von der Feier im Rittersaal. So ein Tanzkurs für die „Schüler höherer Lehranstalten“ kostete um 1963 fünfundfünzig Mark, und anmelden musste man sich in Remscheid persönlich in der Elberfelder Straße 7-9. Weil es so schön war, und weil die männlichen Tanzschüler immer knapp waren, waren einige von uns Röntgenschülern gleich mehrmals mit von der Partie. In der Zeitung hieß es damals immer „in der Tanzschule werden noch Herren angenommen“. Diese Aufforderung brauchten wir allerdings nicht, weil die Botschaft sich über die Buschtrommel schon vorher verbreitete, mindestens ein Schulfreund von mir tanzt dort heute noch. Er ist allerdings dabei weniger auf der Suche nach einer Freundin, denn er hat zwischendurch geheiratet und drei erwachsene Söhne. In meinen Unterlagen kann ich noch nachverfolgen, dass ich damals den Samba mit Petra Nebeling und später den Cha-Cha-Cha mit Christa Kellerhoff tanzte.
Mit meiner Familie hatte Schloss Burg auch immer schon zu tun. Der Urgroßvater legte dort von 1898-1905 die Wasserleitung an, was u.a. Beate Battenfeld in ihrem Buch Pumpen, Speichern, Verteilen – Relikte früher Wasserversorgung (Solingen 1904) so schön beschrieben hat, und der Großvater war in den 1910er Jahren Mitglied des Vorstands beim Schlossbauverein, und von 1908 ab wurde ihm als Regierungsbaumeister die bauliche Aufsicht dort anvertraut. Damals war Burg noch eine selbständige Einheit im Landkreis Lennep.
Das Foto aus Otto Schells historischem Sagenbuch zeigt die Burg noch ganz anders, als sie uns heute erscheint. Schloss Burg als Ruine war über eine lange Zeit ein sehr beliebtes Motiv, ähnlich darin dem nicht fertig gestellten Kölner Dom im 19. Jahrhundert. Fünf Jahre vor der Veröffentlichung seiner Bergischen Sagen im Jahre 1897 veröffentlichte ein gewisser G.A. Fischer eine Broschüre über „Schloss Burg an der Wupper“, in der er dem geneigten Leser zusätzlich auch „Die Burgen des Mittelalters und das Leben auf denselben“ vorstellen wollte. Gleich auf der Titelseite findet sich auch der Zweck dieser Schrift formuliert: „Der Ertrag ist zum Besten des Wiederaufbaus des Schlosses Burg bestimmt“. Wohl auch im Blick auf die Müngstener Brücke, mit deren Vorarbeiten dann im Jahre 1893 begonnen wurde, formulierte Fischer im Vorwort: „Die Eisenbahnen mit ihrer bequemen, schnellen und billigen Beförderung sind Veranlassung geworden, dass in unseren Tagen eine Reiselust vorhanden ist, die kein Mensch vor 30 bis 40 Jahren vermutet hätte. Unter den besuchten Orten sind es vielfach auch Plätze, wo ein altes Schloss, ein alter Herrensitz oder eine malerische Burgruine sich vorfindet, welche durch Lage, Geschichte oder Sage bemerkenswert ist“.
Die jetzige Website von Schloss Burg sagt zu dessen damaliger Geschichte folgendes: Schloss Burg war um 1850 endgültig zur Ruine geworden. Die Bauern der Umgebung benutzten die Reste der Anlage als Steinbruch. Der preußische Staat, der letzte Besitzer, ließ aus Geldmangel Schloss Burg auf Abriss verkaufen. Erst im Jahr 1887 fand sich eine beherzte Schar von Männern zusammen, um einen Verein zur Erhaltung der Schlossruine zu gründen. Bei Veranstaltungen und Basaren erwiesen sich die Bürger des Bergischen Landes als sehr spendierfreudig. Der Architekt G. A. Fischer legte begeisternde Zeichnungen für den vollständigen Wiederaufbau des Schlosses vor. 1890 begann der systematische Wiederaufbau der alten Burg der Grafen von Berg. Schon bald konnte sich der Ruinenerhaltungsverein in Schlossbauverein umbenennen. Dank der großzügigen Spenden bergischer Fabrikanten konnte der Wiederaufbau schon 1914 abgeschlossen werden.
Neben der Schrift von G.A. Fischer fand sich in meinen Unterlagen noch die Festschrift zum 25 Jährigen Jubiläum des Schlossbauvereins zu Burg A.D. Wupper aus dem Jahre 1912, die neben manch wichtigen Schilderungen und Angaben auch den Besuch Kaiser Wilhelms II. darstellt. Am 12. August 1899, heißt es dort, hatte Schloss Burg die große Ehre und Freude, „seinen geliebten Kaiser Wilhelm“ in seinen Mauern begrüßen zu können. In den Tagen vorher wurde alles zum Empfang vorbereitet, Girlanden zogen sich um das Schloss. Die Ehrenpforte trug auf der äußeren Seite den Gruß: Willkommen im Ahnenschloss, auf der inneren den bergischen Schlachthof: Roemryke Berge. Nach der Ansprache reichte der Kaiser dem Landrat die Hand und nahm die Erläuterungen des Architekten Fischer mit großer Anteilnahme entgegen. Aus Zeitgründen wurde dem Kaiser und seinem Gefolge während der anschließenden Besichtigung der oberen Räume nur ein Glas Wein kredenzt. Die Abfahrt des Kaisers erfolgte unter Fanfarenmusik und Hochrufen, und es ging „in scharfem Trabe“ durch Unterburg über Krahenhöhe nach Müngsten. Die zurück gebliebenen Gäste vereinigten sich nun doch zum Festmahl, das „einen überaus anregenden Verlauf“ nahm. Kann man sich denken.
Der Kaiser aber hatte am 12. August 1899 einen ausgesprochen anstrengenden Tag. Er musste nämlich damals auch den bereits seit zwei Jahren anstehenden Eröffnungsbesuch der nach ihm benannten „Riesenbrücke“ nachholen und sich von Prof. Otto Intze vor Ort auch noch die Bedeutung der ersten deutsche Trinkwassertalsperre erklären lassen. Von Küppelstein ließ man ihn aus seiner Kutsche den freien Blick auf das Bergische Land genießen und natürlich auf die neue Eisenbahnbrücke. Zu Recht galt die Kaiser-Wilhelm Brücke seinerzeit als technisches Wunderwerk, heute fährt der „Müngstener“ darüber, und über den Brückenzustand liest man so einiges in der Zeitung. Orden und Ehrenzeichen müssen wir bei einem Besuch dort nicht mehr anlegen, das Bergische Heimatlied erklingt hingegen dort sicher auch heute noch manchmal bei der Benutzung der Schwebefähre im Brückenpark.
Apropos Brückenpark: sicherlich hatte Architekt Fischer, als er in seiner Broschüre von 1892 von der neuen Rolle der Eisenbahnen sprach, auch den Tourismus im Auge. Darum braucht man sich wohl in Burg heute keine großen Gedanken zu machen. Im Sommer drängeln sich die Busse, man verkauft die Spezialität der Burger Brezel, die allerdings nicht allen schmeckt, und man wirbt mit der Seilbahn – der „einzigen weit und breit“. Sie wurde 1952 erbaut und als erste Drahtseilbahn Nordrhein-Westfalens gefeiert.
Und auch im Winter ist Schloss Burg einen Besuch wert, zum Beispiel am nächsten Wochenende. Denn man findet dort dann den 12. Adventsbasar der Kunsthandwerker, ein Highlight der vorweihnachtlichen Treffpunkte im Bergischen Land, traditionell in den Räumen von Schloss Burg und mit einem bunten Markt voller Überraschungen und adventlichen Gerüchen. Da könnte man doch mal vorbeischauen. Denen aber, die lieber zuhause bleiben und den Trubel scheuen, sei hiermit eine schöne und besinnliche Adventszeit gewünscht!