von Horst Kläuser
In der letzten Zeit geht mir ein makaber-beklemmendes Bild nicht aus dem Kopf. Ich sehe in einem düsteren Zimmer einer mittelalterlichen Burg einen verzagten Hofnarren hocken, der unfreiwillig Gespräche aus dem Nachbarsaal mithört. Da beraten Hofschranzen und Henker darüber, wie man den fröhlichen Mann mit seiner Schellenmütze am besten umbringe. Soll man ihn, der eigentlich nur ein Lachen auf das Gesicht der Mächtigen holen möchte, aufs Rad flechten, köpfen, ertränken, vierteilen, aufhängen? Auf jeden Fall vorher foltern.
Der Hofnarr in meiner traurigen Vision steht natürlich für die Bergischen Symphoniker, die miterleben müssen, wie man ohne jede Zurückhaltung ihr Ende diskutiert, das beschlossen scheint. Abend für Abend sollen die Bergischen dennoch Freude bereiten, mit Kultur unsere Herzen erreichen, unsere Sinne verzaubern und doch wird ihr Finale im crescendo vorbereitet. Ahnt eigentlich jemand, was in diesen Künstlern vorgeht? Interessiert es in Remscheid und Solingen noch jemanden, wie da mit sensiblen Musikern, Menschen mit Berufen und Familien umgegangen wird?
Am 2. Weihnachtsabend saß ich im fast vollbesetzten Teo-Otto-Theater und durfte wunderbarer Musik zuhören. Und während ich dem grazilen „Tanz der Zuckerfee“ aus Tschaikowskis Nussknackersuite lauschte, rasten Eindrücke durch meinen Kopf, die sich nach der Gewaltlektüre der Presseberichte aus den letzten Wochen, in denen ich in Moskau war, festgesetzt hatten. Die Bergischen Symphoniker sind tot – die Bestatter bereits bestellt. Nichts scheint sich bewegt zu haben, Rechthaberei statt Lösungsversuche. Die Bürger scheinen paralysiert, schauen mit verbundenen Händen und versteinertem Gesicht zu wie vor dem Bergischen Löwen der Galgen gezimmert wird. Nur, wer spielt dazu das Requiem?
Wo bleibt der Aufschrei der Remscheider (und der Solinger) Bürger: der Musikliebhaber, der Unternehmer, der Leitenden Angestellten, der Ärzteschaft, der Kulturliebhaber, der Schüler, der „Corporate Citizens“ (Firmen), der Vereine, der Einzelhändler, der Lehrer, der Senioren, der Anwälte, der Verbände? Warum gehen sie nicht auf die Straße, wenn ein völlig gesunder (Körper-)Teil der Stadt amputiert wird? Um im Bild zu bleiben, dieser fehlende Teil wird nicht nur nie mehr nachwachsen, unsere Stadt wird ewig unter dem Phantomschmerz leiden.
Natürlich ist es völlig legitim für Politiker, sich für oder gegen das Orchester, genauer: sich für oder gegen seine fortlaufende Finanzierung auszusprechen. Aber wundere nur ich mich darüber, dass Zustimmung oder Ablehnung haargenau an den Parteilinien entlanglaufen? Hallo!? Hier geht es um unsere Stadt, unsere Kultur, da sind SPDCDUFDPGRÜNELINKEWIR völlig nebensächlich. Herz und Hirn sind gefragt, nicht Parteifarben und Fraktionszwang. Klar weiß auch ich, dass 500.000 € kein Pappenstiel sind, Remscheid an allen Ecken und Enden zu sparen hat. Andererseits lese ich in den selben (nachträglich) gelesenen Medien, dass die Verwaltung 187.000 € an Gerichtskosten aufbringen muss, nur weil sie vergeblich versuchte, die Ansiedlung eines Discounters zu verhindern. (und ähnliches scheint zu folgen...). 17.500 € muss Remscheid für die Beschilderung einer höchst fragwürdigen Umweltzone ausgeben (damit wären übrigens die 500.000 € leicht zu finanzieren!).
Habe ich eigentlich überlesen, was die stellvertretende Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten und angeblich so kulturbegeisterten Bundeslandes zum Orchesterdebakel sagt? NRW-Kultus(!)ministerin Sylvia Löhrmann schweigt berede. Vergaß ich hinzuzufügen, dass sie Solingerin ist? Überhaupt geben die Kommunalpolitiker beider Städte ein trostloses Bild ab. Von Bewegung, Kompromissfähigkeit und -bereitschaft keine erkennbare Spur. Beharren auf betonierten Maximalforderungen, gegenseitige Schuldzuweisungen in merkwürdigen „Offenen“ Briefen, juristische Drohungen, wo man doch Ärmelhochkrempeln erwarten sollte. Sprachlosigkeit, viel schlimmer noch: Phantasielosigkeit beherrscht die Diskussion.
Wo ist der neue, engagierte Plan für eine Stiftung, wo die Idee eines Fonds, warum regt niemand Anteilsscheine, Spendenaktionen an? Sind alle Landes-, Bundes-, Stiftungs- und ggf. sogar europäischen Förderoptionen ausgelotet worden?
Natürlich haben sich auch die Musiker selbst der Diskussion zu stellen. Finden sie unter ihrem brillanten GMD Kuhn immer die besten, die richtigen Stücke fürs Bergische Land? Haben sie genug getan, um Signale ihres Entgegenkommens zu setzen? Die seit Jahren in die höchsten Sphären klassischer Musik hineingewachsenen Musiker werden von der Deutschen Orchestervereinigung vertreten. Ist eine Gewerkschaft gut beraten, auf Weihnachtsgeld zu bestehen, wenn andererseits die Gesamtabschaffung droht? (auch andere Branchen müssen leider schon längst ohne auskommen)
Ja, ich wünschte mir mehr Präsenz vom Orchester zu Zeiten der Existenzgefährdung, nicht nur auf der Bühne und keineswegs im mesto doloroso, sondern natürlich im furioso con brio (ff). Denn eines sollten wir nicht wollen, was uns als so billig und möglich weisgemacht wird: eingekaufte Miet-Musiker, die aus dem Osten Europas heran gekarrt werden in rostigen Bussen, aus denen dann freud- und hilflose Musikanten purzeln, um hernach übermüdet und lustlos „Die kleine Nachtmusik“ 'runterzufiedeln.
Was kann, was muss geschehen? Viel. Es ist nicht zu spät, Weichen zu stellen, energisch und schnell neue Wege ins Dickicht zu schlagen. In dieser Stadt wohnen und arbeiten kluge und wohlhabende Menschen; die Remscheider haben in ganz anderen historischen Lagen mit Kopf, Hand und Herz das Rad der Geschichte gedreht und aus Kahlschlag Wohlstand geschaffen. Aber das geht nicht im Hinterstübchen, sondern nur mit den vernehmbaren Stimmen und dem Willen aller, die in unserer Stadt mehr nur als eine Ansammlung desolater Straßen, leerstehender Geschäfte und grauer Wohnsiedlungen sehen.
Lasst uns gemeinsam eine tragfähige Idee entwickeln, das „Rathaus“ überzeugen und dann selbstbewusst nach Solingen ziehen. Zwar muss man dafür leider immer „über die Wupper gehen“ - aber das ist nur ein blöder Spruch. Wirkliche Macher in Remscheid hat das noch nie abgehalten.