Utopien zur Integration waren wenig hilfreich
Nach dem heiteren Auftakt mit einem Stand-Up Comedian von „RebellComedy“ (gerne mehr davon) wurde es gestern Abend im gut besetzten Vaßbendersaal am Markt ernst: Gezeigt wurde der Film „Bleibeperspektive, eine machtvolle Praxis!“. Er beschreibt anhand der Erfahrungen von drei (Neu-)Zugewanderten sowie Interviews mit Entscheidungsträgern der beruflichen Integration und Expert*innen, welche Einflussmöglichkeiten und Auswirkungen die jeweilige Bleibeperspektive auf die berufliche Integration von drei Migranten hatte und welche Herausforderung für Akteur*innen der beruflichen Integration damit verbunden ist. Der Dokumentarfilm entstand in Zusammenarbeit von Souad El Hasnaoui, Stabsstelle Integration der Stadt Bonn, mit dem „Medienprojekt Wuppertal“. Wenngleich etwas zu breit angelegt in puncto Behörden, entlarvte der Film doch die bürokratischen Hindernisse der beruflichen Integration von Migranten. Souad El Hasnaoui hatte dafür schon in der ankündigenden Pressekonferenz ein Beispiel genannt: Natürlich werde keinem Migranten, auch denen ohne Bleibestatus, eine Ausbildung in Deutschland von den Behörden versagt. Aber wer diesen Status noch nicht besitze, habe keine berufliche Perspektive, weil er an keinem Deutschkurs teilnehmen dürfe. Eine Ausbildung ohne Deutschkenntnisse sei jedoch nur schwer vorstellbar.
Dass die Kommunen den Rahmen von Gesetzen und Verordnungen nicht ändern könnten, die die Integration von Flüchtlingen regeln (bzw. einschränken), betonte gestern Sozialdezernent Thomas Neuhaus. Der Anteil der Mitbürger mit Migrationshintergrund liege in Remscheid bei 38 Prozent – „und damit an der Spitze in NRW und sicherlich auch über NRW hinaus“. Das Miteinander sei in Remscheid konfliktarm – „und das bei niedriger Kriminalitätsrate!“ Das müsse man jenen immer wieder aufs Neue sagen, die in der Öffentlichkeit Ängste schüren wollten. Das Zusammenleben funktioniere gut. Das habe gerade erst wieder die Technische Universität Remscheid im Rahmen ihres MOSAIK-Projektes vor Ort bestätigt. Das zeige sich aber auch bei der Entwicklung der rückläufigen Anzahl der Bedarfsgemeinschaften bzw. der Transferleistungen im SGB II in Remscheid. Zahlreiche Migranten hätten den Weg in die Arbeitswelt gefunden.
Gleichwohl bleibe es für die Akteure aus Ehrenamt, Wohlfahrtsverbänden und anderen Institutionen sowie Verwaltung (im Saal stark vertreten) wichtig, Integration auch aus der Perspektive der Betroffenen zu sehen. In diesem Zusammenhang zitierte Neuhaus (geboren am 26.7.1967 in Dortmund) aus der Antirassismuskonvention von 1966. Institutionell und strukturell habe sich seit 2015 in Deutschland „sicherlich schon einiges verbessert“; mit dieser Veranstaltung biete sich nun „die Gelegenheit, „Wege, Ermessensspielräume und neue Visionen für unsere Stadt zu entwickeln, damit alle Menschen in Remscheid in Würde leben und die Interessen der Gesamtgesellschaft gewahrt bleiben.“
Eine Gelegenheit, die leider in der Diskussion nach Film und kleiner Pause weitgehend ungenutzt blieb. Denn statt beispielsweise das Problem „Ohne Bleibestatus keine Ausbildung" zu vertiefen und nach Lösungen zu suchen, arbeiteten sich die Diskussionsteilnehmer an Utopien ab, was viele „Praktiker“ im Saal als unbefriedigend empfunden haben mögen. So propagierte etwa Prof. Dr. Paul Mecheril auf Nachfrage aus dem Plenum akedemisch die „europaweite Freizügigkeit“ – ein Ideal, dem Philosophen sicherlich ebenso zustimmen würden wie dem christlichen Gebot „Liebe Deinem Nächsten!“ Die gegenwärtig notwendige Integration für Geflüchteten bringt das aber keinen Schritt weiter! Und auch die pauschale Forderung von Souad El Hasnaoui, Geflüchteten den Weg in die deutsche Arbeitswelt ungeachtet des dualen Ausbildungssystems zu erleichtern, um das uns viele andere Länder beneiden, war wenig hilfreich. Zumal Mecheril die Auffassung vertrat, das duale Ausbildungssystem werde sich ohnehin auf Dauer nicht halten lassen. Warum eigentlich nicht?! Zu Recht kam daher Widerspruch von Thomas Neuhaus und Martin Klebe (Agentur für Arbeit).
Vielleicht wäre es besser gewesen, den bis zum Film interessanten Abend mit Gesprächen bei Häppchen und alkoholfreien Getränken ausklingen zu lassen. So wurde die fast dreistündige Veranstaltung insgesamt leider der hochtönenden Ankündigung in der Pressekonferenz vom 15. Januar (Impulse zur besseren Integration von Zugewanderten) nicht gerecht.
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