Innenstadtentwicklung: "Mehr Ruderer müssen ins Boot!"
Was wird aus der Alleestraße? Was wird aus dem Quartier „Markt, Blumenstraße, Alte Bismarckstraße“? Noch mehr Leerstände als bisher schon? Noch mehr Ein-Euro-Läden? Friedhelm Reska, Architekt und bekennender Remscheider, macht sich Sorgen um die Remscheider Innenstadt. „Remscheid hat es verdient, dass man sich für diese Stadt einsetzt“, sagte er gestern im Timescafé am Markt. Dorthin hatte Bezirksbürgermeister Otto Mähler namens der SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Alt-Remscheid eingeladen und dafür einen Teil des Restaurants durch Stellwände abtrennen lassen. Sie mussten versetzt werden, denn der Andrang war überraschend groß: Mehr als 60 Bürger/innen kamen. Mit einem derart großen Echo hatte Mähler nicht gerechnet nach der kleinen Schar, die vergangenen Mittwoch am Ende des ersten Bürgerforums in der Sophie-Scholl-Schule noch übrig geblieben war.
„Hohe Mieten sind für viele Einzelhändler das große Problem“, titelte der Waterbölles am 8. Dezember 2009. Darin waren sich gestern Stadtplaner Hans Gerd Sonnenschein und Architekt Reska einig. Ansonsten stand gestern der eine für die „amtliche“ Stadtplanung, der andere für deren Kritiker. „Politiker sagen nicht die Wahrheit“, sagte Reska. „Weil sie wiedergewählt werden wollen!“ Politiker müssten mutiger werden, den Menschen die Wahrheit einschenken. Reska war einmal selbst einer, zog sich dann aber aus der aktiven Lokalpolitik zurück. Die Kritik, die er sich dereinst verkniffen haben mag, fiel gestern umso deutlicher aus. Beispiel städtische Markthalle, jetzt „Timescafé“ und in Privatbesitz: „Eine Fehlplanung. Eine Markthalle hätte einen ebenerdigen Boden gebaut. Aus Kostengründen entschied man sich damals für einen abschüssigen. Das konnte ja nichts werden!“ Oder der Friedrich-Ebert-Platz“: „Der teuerste Parkplatz des Landes!“ Auch die vielen Busse vor dem Stadttheater stören den Architekten.
Reska zur Verödung der Innenstädte: „Es gibt Orte in Nordrhein-Westfalen, die sind schon tot. Gronau, 40.000 Einwohner, habe ich kürzlich erlebt. Kaum ein Mensch noch auf der Straße!“ Auch Remscheid sieht der Architekt auf diesem Wege. Die Mitschuld daran gibt er Discountern wie Aldi und Lidl. „Die haben die Innenstadt eingekreist und den dortigen Einzelhandel kaputt gemacht.“ Nun sei es an der Zeit, „dass diejenigen, die über Jahre ihren Profit aus den Geschäften gezogen haben – die Vermieter, de Hausbesitzer -, etwas dafür leisten, sprich: die Mieten senken, damit die Innenstadt nicht noch weiter verkommt!“
Sonnenscheins Thema war die Alleestraße. Zu deren probeweisen Öffnung werde es am 30. März im Rathaus eine Bürgeranhörung geben. Diese Auflage habe der Regierungspräsident gemacht. Begründung: Nicht nur die Einzelhändler seien zu befragen, sondern auch die Hausbesitzer und die Mieter. Der Stadtplaner betonte (nicht zum ersten Mal), dass an einen verkehrsberuhigten Bereich gedacht sei mit gleichen Rechten für Autofahrer und Fußgänger. Zunächst ein „kostengünstiges Provisorium“ mit Streifenmarkierungen der Fahrbahn. Wirtschaftsjunioren und Einzelhandelsverband hätten bereits finanzielle Unterstützung zugesagt. Das Kernproblem: „Die Stadt darf da kein eigenes Geld reinstecken!“
Reska zum Autoverkehr auf der unteren Alleestraße: „Dieser Test ist wie mit Wattebäuschchen auf Spatzen schießen. Wir brauchen für die Innenstadt fundamental andere, nachhaltigere Ideen. Und da sei jeder Bürger gefordert. Aber auch die Medien, die bislang „leider nur reagieren“.
Eine Idee hatte Sonnenschein schon früher geäußert und wiederholte sie gestern: „Wir müssen an der Alleestraße auch an Abbruch und Neubau denken.“ Bei vielen Gebäuden, die in den 1960-er, 1970-er Jahren entstanden sei, lohnten sich die (demnächst auch für Geschäftshäuser gesetzlich vorgeschriebene) Energiesparmaßnahmen womöglich nicht mehr; da sei ein Neubau die bessere Alternative. Aber, so der Stadtplaner: „Wir brauchen Leute, die das finanzieren, und andere, die dann da einziehen.“ Seine Kritik an den Hausbesitzern: „Viele Geschäftsflächen, Fassaden und Wohnungen entsprechen nicht mehr dem heutigen Standard. Aber die Hausbesitzer interessiert die Alleestraße eigentlich gar nicht!“
Vielleicht sei die Alleestraße ja inzwischen auch als Einkaufsstraße zu groß für Remscheid geworden, meldeten sich Bürger zu Wort. Als sie zur Fußgängerzone geworden sei, habe die Stadt noch 136.000 Einwohner gezählt. Heute seien es gerade mal 116.000. Und die magische Grenze (100.000), unterhalb derer sich Beate Wilding dann nur noch Bürgermeisterin nennen dürfe, sei bereits absehbar. Reska sah sich in seiner Ansicht bestätigt: „Ein paar mehr Autos auf der Alleestraße ändern an der Situation gar nichts!“
Ganz scheinen die Bürger aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben: „Es gibt auch Oasen in der Ödnis!“ Allerdings hätten sie ein besseres Umfeld verdient. Darum müsse sich die Stadt Remscheid mehr als bisher kümmern. Als Beispiel wurden die Pavillons auf der Alleestraße genannt. Sie seien mit „unsäglichen, unansehnlichen Gartenmöbeln und Zelten umstellt!“ Reska: „Wir brauchen mehr Eigeninitiative gegen Verslumung!“
Angesichts der Sparpläne der Verwaltungsvorstandes, die auch die Musikschule betreffen, betonte Ludwig Hoppe, Vorsitzender des Fördervereins der Musik- und Kunstschule: „Auch Kultur belegt eine Innenstadt!“ Anderthalb Jahre lang habe er in seiner Freizeit im Bökerspark hinter der Schule den Müll aufgelesen, nannte Hoppe ein Beispiel für Eigeninitiative. Einmal sei es so viel gewesen, dass er einen Anhänger an seinen Pkw habe ankoppeln müssen. Mit dem Gefährt habe er sich dann im Parkverbot ein Knöllchen eingefangen. Hoppe: „Als die Oberbürgermeisterin dann nicht bereit war, das zurückzunehmen, habe ich das Müllsammeln wieder eingestellt!“ Merke: Allzu viel Bürokratie kann Eigeninitiative schnell ersticken! Friedhelm Reska sah das ähnlich. Er verwies auf eine weitere Eigeninitiative, an der er selbst beteiligt war – das restaurierte Fachwerkhaus mit dem Café „Sahnetörtchen“ und die Metallfiguren an der Scharffstraße. Den Begriff der „Stadtplanung“ ersetzte er durch „Stadtnichtentwicklung“. Denn der Remscheider Stadtplanung sei der rote Faden verloren gegangen. Hinzuzufügen bleibt: In einer Stadt ohne Geld würde auch die bester Planung nichts nützen, kämen nicht auch „Privatleute ins Boot“ (Sonnenschein).
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