"Wird Remscheid unattraktiv, wandern die Bürger ab!"
Es gibt in Lennep keine Grundschule, die von Schließung bedroht ist. Nur knapp 100 Bürger/innen – darunter 15 Schüler/innen und Lehrer/innen der Musik- und Kunstschule der Stadt sowie rund 30 Kommunalpolitiker – hörten gestern im Schulzentrum Hackenberg beim dritten und letzten „Bürgerforum“, was Oberbürgermeisterin Beate Wilding bei den vorausgegangenen schon eindringlich geschildert hatte: „Remscheid wird 2030 die Schwelle der 100.000 Einwohner unterschreiten und dann noch 95.000 Einwohner umfassen. Damit besteht in unserer Stadt generell das Erfordernis, Strukturen, Einrichtungen und Angebote an diese Entwicklung anzupassen.“ (Die komplette Rede siehe (siehe Teil 1 und Teil 2). Ganz zu schweigen von der Haushaltsverfügung des Regierungspräsidenten, in der der Stadt angesichts eines jährlichen Defizits von mehr als 100 Millionen Euro jegliche freiwilligen Leistungen untersagt werden. Und wie reagierte die Bevölkerung auf diese Hiobsbotschaft? Gestern im Lennep nicht anders als zuvor im Schulzentrum Klausen und davor in der Sophie-Scholl-Schule in Alt-Remscheid: erschrocken, aber auch sprachlos, wenn Moderator Horst Kläuser nach eigenen Sparideen fragte. Auch der gestrige Satz aus dem Plenum „An unseren Kindern darf am allerwenigsten gespart werden!“ war so oder ähnlich schon früher gefallen. Beim ersten Bürgerforum bezogen auf die Grundschule Struck, beim zweiten auf die Grundschule Goldenberg und gestern bezogen auf die städtische Musik- und Kunstschule. Über sie heißt es in der „Giftliste“ des Verwaltungsvorstandes: „Privatisierung oder Aufgabenwahrnehmung im interkommunalen Verbund prüfen oder Schließung der Musik- und Kunstschule; bis dahin Erhöhung der Teilnehmerentgelte in Summe um zehn Prozent!“ Eine junge Sängerin der „Voces“, dem Chor der Musikschule, dazu: „Wenn in Remscheid die Musikschule geschlossen wird, werden wir unsere Familien in einer Stadt gründen, in der unsere Kinder noch eine musikalische Erziehung erhalten können!“ Oder grundsätzlicher: „Wird Remscheid unattraktiv, wandern die Bürger ab!"
Zehn Chormitglieder der „Voices“ hatten die Besucher/innen des dritten Forums am Eingang musikalisch begrüßt. Und an der späteren Diskussion im Anschluss an die Rede der Oberbürgermeisterin beteiligten sie sich engagiert und rege: „Es ist wichtig, dass Kinder von klein an musikalisch gefördert werden!“ Auch eine Mutter von fünf Kindern, früher selbst Schülerin der Musikschule, plädierte für deren Fortbestand: „Die Kinder hängen nicht auf der Straße herum. In der Musikschule werden ihnen auch Eigenschaften vermittelt wie soziale Kompetenz, Ausdauer, Kreativität und Zuverlässigkeit!“ Und zwei Lehrerinnen wiesen darauf hin, dass die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Musikschule unverzichtbar sei: „Durch Flötenkurse beispielsweise erreichen wir auch Migranten- und Spätaussiedlerkinder!“ Diese wären ohne Musikschule von einer musikalischen Erziehung ausgeschlossen, während sich in diesem Fall „besserverdienende Eltern sicherlich zu helfen wüssten“.
Kulturdezernent Dr. Christian Henkelmann hielt dem entgegen, der Musik- und Kunstunterricht sei „eine originäre Aufgabe des Landes“. Im Übrigen verwies er auf die Sparvorgaben des Innenministeriums, räumte aber ein, „eine Schließung der Musikschule wäre ein herber Verlust!“ Deshalb prüfe man zunächst die Möglichkeit einer Privatisierung (GmbH wie in Solingen) oder eine bergische Kooperation. Die festangestellten Mitarbeiter der Schule müssen mit keiner betriebsbedingten Kündigung rechnen, ergänzte die OB auf Nachfrage; das lasse eine mit dem Personalrat abgeschlossene Dienstvereinbarung gar nicht zu. Aber, so Henkelmann weiter, an einer Veränderung der gegenwärtigen Strukturen gehe kein Weg vorbei. Vom Jahresetat in Höhe von 1,2 Millionen Euro erwirtschaftete die Musikschule 400.000 Euro; es bleibe folglich ein kreditfinanzierter Zuschuss aus der Stadtkasse von 800.000 Euro Jahr. Und der gehöre zu den freiwilligen Leistungen, die die Stadt abbauen müsse. Auch die Stadtteilbüchereien gehören dazu. Die in Lüttringhausen konnte durch ehrenamtliches Engagement gerettet werden. Die Zukunft der Bücherei in der Lenneper Altstadt ist dagegen noch ungewiss. „Dass sie zur Disposition steht, kann ich einfach nicht glauben“, entrüstete sich gestern eine Lenneper Bürgerin. Henkelmann beschwichtigend: „Wir wollen versuchen, ein ähnliches Modell wie in Lüttringhausen auf die Beine zu stellen.“ Vorschlag aus dem Planum: „Das Preisniveau in der Bücherei ist wie das der Musikschule noch ziemlich niedrig. Da ist noch Spielraum nach oben!“ – Henkelmann: „Daran denken wir bereits!“
Als eine „identitätsstiftende Einrichtung“ wurde das Deutsche Werkzeugmuseum auf Hasten angesprochen. „Wie kann die Stadt daran denken, ihre Wurzeln zu verkaufen?“, schallte gestern dem Verwaltungsvorstand (OB Wilding und den Dezernenten Bärbel Schütte, Burkhard Mast-Weisz und Dr. Christian Henkelmann) entgegen. Und wieder kam der Verweis auf das Innenministerium. Dort halte man zwei große Museen, das Werkzeug- und das Röntgenmuseum, in der kleinsten Großstadt Nordrhein-Westfalens für zuviel des Guten. Henkelmann: „Dass es toll wäre, bestimmte Einrichtungen zu erhalten, das wissen wir!“
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Christoph Humpert am :
Chronist am :
hj schmid am :
SPD in der BV Lennep am :