Auch in Remscheid sind Zwangsehen ein Problem
Im „Ausbildungswerk“ in Berlin-Kreuzberg sind in einer Dauerschleife Bilder aus dem Leben von Hatun Sürücü zu sehen, jener 23jährigen Deutsch-Türkin, die vor einem Jahr von ihrem jüngsten Bruder erschossen wurde. Er hatte ihren Lebensstil als „Kränkung der Familienehre“ empfunden. Nichts, was uns in Remscheid, fern von Berlin, beschäftigen sollte? Diesen Irrtum kann Kriminaloberkommissarin Magdalena Skopnick aufklären, Koordinatorin für den Jugendbereich bei der Remscheider Kripo. Sie weiß: Im vorigen Jahr sind in unserer Stadt vier muslimische Mädchen von Zuhause weggelaufen, weil ihre Familien für sie Ehemänner ausgesucht hatten, die sie nicht wollten.
Zwangsehen in Remscheid - Tendenz steigend! Davon gehen die Remscheider Gleichstellungsbeauftragte Christel Steylaers (Tel. 162257) und Petra Hafele von der Frauenberatungsstelle Lennep (Tel. 662466) aus. Sie halten es zu Recht für nicht hinnehmbar, dass ausländische Frauen "mitten unter uns" unterdrückt und in ihren Menschenrechten verletzt werden. Christel Steylaers und Petra Hafele gehören (zusammen mit Lehrerinnen sowie Vertretern von Kirche und Polizei) einem Arbeitskreis an, der sich mit Zwangsehen beschäftigt. Bekannt sind Fälle, in denen 13jährige türkische Schülerinnen imit ihren Eltern in die Türkei in "Urlaub" fliegen und als verheiratete Frauen zurück kehren. Für die türkischen Ehemänner kann dies nach deutschem Recht eine Anklage wegen sexuellem Mißbrauch oder Vergewaltigung nach sich ziehen. Aber wem sollen die jungen Frauen sich anvertrauen? Familienmitglieder passen scharf auf sie auf.
Die Zahl der muslimischen Ausreißerinnen könnte steigen, befürchtet Magdalena Skopnick. Kaum zu glauben, aber wahr: Um zu erfahren, wo die Mädchen sich versteckt halten, melden die Eltern sie bei der Polizei als vermisst. Doch inzwischen wissen die Beamten, wo der Hase im Pfeffer ist. Stellen sie fest, dass das Mädchen aus Angst vor einer Zwangsheirat untergetaucht ist, sucht die Polizei den Kontakt zu Freundinnen, damit das städtische Jugendamt sich um das Mädchen kümmern und sicher unterbringen kann. Die „besorgten“ Eltern gucken dann in die Röhre.
„Zwangsheirat in Deutschland - ein Thema für Remscheid“ war ein Vortrag überschrieben, zu dem die Volkshochschule am 9. November vorigen Jahres Sozialarbeiter und andere eingeladen hatte, die sich mit diesem Thema von Berufs wegen oder ehrenamtlich beschäftigen müssen. Referentin war die Berliner Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ates. Sie begrüßt Pläne des Gesetzgebers, Zwangsehen als Straftat zubehandeln: Wer eine Frau mit körperlicher oder psychischer Gewalt zur Ehe zwingt, kann nach einem Entwurf des Bundesrates mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Geplant ist ferner eine Änderung des Zuwanderungsrechts, die verhindern soll, dass Ausländerinnen zur Zwangsheirat nach Deutschland verschleppt werden. Seyran Ates dazu in einem Interview des Berliner „Tagesspiegels“: „Die Verschärfung von Gesetzen kann einen gesellschaftlichen Prozess in Gang setzen. Bei der Zwangsheirat, die eine Menschenrechtsverletzung ist, werden Straftatbestände wie Nötigung, Körperverletzung, Vergewaltigung realisiert. Es ist aber wichtig, dass bestimmte Taten auch namentlich benannt werden: Hier setzt der Staat ein Signal und sagt: Das, was ihr da macht, ist Unrecht. Und deshalb wird es bestraft.“
Männliche Türken, auch junge, habe da leider noch völlig andere, uns fremde Vorstellungen von Recht, Ordnung und Ehre, wie der Tod von Hatun Sürücü bewiesen hat. Kurz nach diesem Straftat erlebte Seyran Ates in einem Prozess in Berlin einen aufgebrachten Ehemann, der damit drohte, wenn seine Frau weiter Lügen über ihn verbreite, werde sie bald auch in den Zeitungen stehen. Die Frauenrechtlerin im „Tagesspiegel“: „Ich habe von Mandantinnen oft gehört, dass ihre Männer nach den Schüssen auf Hatun Sürücü sagten: Siehst Du, was passieren kann? Was der kann, das kann ich auch. Oder meinst Du, die anderen sind Männer und verteidigen ihre Ehre – und ich bin kein Mann?“
Was muss passieren, damit sich etwas ändert? Türkischstämmige Frauen müssen selbstbewusster werden, müssen sich zur Wehr setzen (nötigenfalls aus einem sicheren Frauenhaus heraus), müssen den Mut haben, ihre Situation publik zu machen (mit guten Deutschkenntnissen geht das besser) und müssen Hilfe erbitten. Und wir, die Gesellschaft, wir müssen ihnen diese Hilfe geben.
Der Graben zwischen der so genannten Mehrheitsgesellschaft und denen, die als Migranten nach importierten Moralvorstellungen leben, sei tief, schrieb am 7. Februar Werner van Bebber im „Tagesspiegel“ in einem Kommentar. Seit dem Mord an Hatun Sürücü werde „alles debattiert, was zuvor tabu war – die Anzahl der Ehrenmorde, das Phänomen der „Importbräute“, die Rechte der Kinder der Migrantencommunity auf Bildung, Sprachkenntnisse, Sportunterricht. Viele Jahre lang hat ein seltsames Schweigegelübde solche Debatten verhindert: Da waren die Linken und Alternativen, denen jeder türkische Patriarch näher war als ein konservativer deutscher Spießer, auch wenn der eine seine Frau einsperrte und der andere bloß nicht im Haushalt half.“ Schluss damit. Auch in Remscheid.
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