Erste effektive Einsparungen erst in zwölf bis 13 Jahren
„Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird.
Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden.“
(Georg Christoph Lichtenberg (1742-99), dt. Aphoristiker u. Physiker)
Das Konzert- und Musiktheaterprogramm der drei Städte Remscheid, Wuppertal und Solingen könne von einem Orchester geleistet werden. Das stellte Dr. Martin Dehli (Foto) fest, Mitarbeiter der Münchner Kulturberatungsfirma Actori. Am vergangenen Freitag erläuterte er rund 30 aufmerksamen Kommunalpolitikern im Großen Sitzungssaal des Remscheider Rathauses das Gutachten zur Bergischen Kulturkooperation, das die drei bergischen Großstädte in Auftrag gegeben hatten. Bei der Auftragsvergabe hatten diese von vornherein festgelegt, dass nur solche Szenarien sinnvoll seien, die zu keinen Mehrkosten führen. Ob das Gutachten diese Vorgabe erfüllt, hängt davon ab, wie weit man in die Zukunft blickt. Denn die von den Gutachtern errechneten Einsparungen von rund 3,3 Millionen Euro jährlich – davon entfallen auf Wuppertal zwei Millionen jährlich, auf Solingen und Remscheid je 700.000 Euro – würden ohne betriebsbedingte Kündigungen erst in 25 Jahren erreicht und erste effektive Einsparungen in zwölf bis 13 Jahren. Bis dahin steigen die Ausgaben: durch Tariferhöhungen für die Bergischen Symphoniker. Die Gestaltungsmehrheit war davon am Freitag nicht begeistert: „Es bleibt dabei, nur Szenarien in Betracht zu ziehen, die zu keinen Mehrkosten für die einzelnen Städte führen“, stellten die Fraktionen von SPD, FDP und Grünen nach der Präsentation des Gutachtens in einer gemeinsamen Erklärung fest.
„Man hört, wenn die Musiker nicht zusammenspielen wollen“, hatte Dehli bereits zwei Tage zuvor bei der Präsentation des Gutachtens vor der Presse in Solingen betont, vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft gewarnt und die Höhergruppierung der Bergischen Symphoniker (B-Tarif) auf das Niveau ihrer Wuppertaler Kollegen (A-Tarif) empfohlen, um das Zusammenwachsen der Orchester zu erleichtern („gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“). Die Gehälter der Wuppertaler liegen um 20 bis 40 Prozent höher als die der Bergischen Symphoniker, erfuhren die Remscheider Kommunalpolitiker am Freitag auf Nachfrage. Ein höherer Tarif würde für Remscheid und Solingen in den ersten sieben Jahren zusätzliche Mehraufwendungen von rund 2,6 Millionen Euro bedeuten.
Wegen des Widerstandes der Orchestermusiker sei mit qualitativen Einbußen des Klangkörpers zu rechnen, meint Dehli. Das mag für die Wuppertaler Musiker gelten, sofern sie auf die Kollegen aus Solingen und Remscheid dünkelhaft herabblicken, für Letztere aber wohl nicht. Denn sofern sie keine betriebsbedingten Kündigungen zu fürchten hätten, würde die Fusion der beiden Orchester für sie (im besten Fall) ein bis zu 40 Prozent höheres Gehalt für die nächsten 25 Jahre bedeuten – und eine entsprechend höhere Pension. Keine schlechte Aussicht! Und das bei geringerer Inanspruchnahme. Denn wenn niemandem gekündigt wird, zählt das fusionierte Orchester 151 Mitglieder – weit mehr, als benötigt würden. Auf Dauer gehen die Gutachter von 110 aus. Eine Orchesterstärke von 151 Musikern würde für die Bergischen Symphoniker folglich nicht nur höhere Einkünfte, sondern auch eine geringere Inanspruchnahme bedeuten. Interessant auch diese Information von Dr. Martin Dehli von Freitag: Die Stadt Wuppertal hat derzeit 88 Musiker auf ihrer Gehaltsliste. Das würde eine Eingruppierung in den B-Tarif rechtfertigen. Dehli: „Die Höhergruppierung erfolgte freiwillig!“ Mit anderen Worten: Denkbar wäre auch ein fusioniertes Orchester auf niedrigerem Gehaltsniveau. Das aber haben die Gutachter gar nicht erst in Betracht gezogen.
Noch im Februar 2009 hatte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Martin Brink betont: „Die SPD spricht sich für eine langfristige Sicherung des Orchesters aus.“ Das wäre wünschenswert. Aber machbar erschien das schon damals nicht. Dass sich die Stadt sich vertraglich verpflichtet habe, beim Personalabbau auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, sei falsch. Dadurch schränke sie ihre verbliebenen Handlungsmöglichkeiten weiter ein, hieß es am 21. April 2009 in einer Pressemitteilung der Industrie- und Handelskammer, in der im Übrigen das Orchester nicht erwähnt wurde. Doch schon im Februar 2005 hatte der Präsident der IHK, Friedhelm Sträter im einem RGA-Interview festgestellt: „Auf Dauer kann man keine zwei Orchester im Bergischen leisten!“
Dass die Stadt Remscheid an allen Ecken und Enden sparen muss, ist spürbar. Und nachlesbar – in der am 29. Januar 2010 vorgestellten „Giftliste“ zum Schuldenabbau. Gut zwei Jahre zuvor, im Vorfeld der Dezember-Sitzung 2008 des Rates der Stadt Remscheid, hatte die SPD-Fraktion vor einer „Ungleichbehandlung anderer Träger im Kultur- , Sport- und Jugendbereich“ gegenüber dem Orchester gewarnt. Käme es zu der von den Gutachtern vorgeschlagenen Tariferhöhung, würde diese Ungleichbehandlung für mindestens zwölf Jahre zementiert – ja mehr als das, sie würde erhöht. Denn die Zuschüsse an die Träger im Kultur-, Sport- und Jugendbereich werden bereits jetzt gekürzt, nicht erst in zwölf Jahren. „Es geht um Menschen, nicht um Instrumente“, stellte am Freitag Oberbürgermeisterin Beate Wilding fest. Kein Grund, dem zu widersprechen. Um Menschen geht es aber auch in allen anderen Bereichen, die von Kürzungen städtischer Zuschüsse betroffen sind. Und deshalb ist hier Gleichbehandlung das oberste Gebot.
„Durch 15 Musiker weniger würde die Stadt 325.000 Euro sparen“, titelte der Waterbölles am 1. August 2007 und zitierte damit aus dem Konsolidierungsgutachten der Wirtschaftsprüfer von Rödl & Partner. „Orchester ab 66 Musiker werden in die Vergütungsgruppe B eingeordnet. Ab 99 Planstellen erfolgt die Einstufung in die Vergütungsgruppe A“, steht darin. Für die Bergischen Symphoniker ist von 72 Planstellen die Rede zuzüglich drei Überhangstellen. Tatsächlich besetzt waren damals 68 Planstellen zuzüglich drei Überhangstellen. 29 davon müsste die Stadt Remscheid bei Auflösung des Orchesters in ihre Dienste zurücknehmen – und wie auch immer bis zu ihrer Pensionierung beschäftigen. Weil sie unter den Schutzbereich fallen, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Die Auflösung des Orchesters bedürfte laut Gesellschaftervertrag einer Dreiviertelmehrheit in der Gesellschafterversammlung. Die Stadt Remscheid wäre somit vom Willen des Mitgesellschafters Stadt Solingen abhängig.
Rödl & Partner schlug 2007 einen anderen Weg vor: Eine Verringerung der Orchesterstärke um 15 Stellen würde die Eingruppierung in den niedrigeren C-Tarif möglich machen und somit zu einer Reduzierung der Personalkosten um 750.000 Euro (durchschnittliche Personalkosten pro Stelle in Höhe von 50.000 Euro). Zitat: „Daraus ergeben sich Einsparungen im Haushalt der Stadt Remscheid in Höhe von ca. 325.000 Euro.“
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